Couchsurfing
Die Idee des Couchsurfings ist eigentlich schon ziemlich alt, aber heutzutage trägt sie ein neues Gewand. So lange ich mich erinnern kann, war es üblich, Verwandte, Freunde und Bekannte aus verschiedenen Anlässen bei sich übernachten zu lassen. Die Gründe dafür waren vielfältig, z. B. Feiern, von denen man zu später Stunde nicht nach Hause kam, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr fuhren und es für den kleinen Geldbeutel des Betroffenen zu teuer war, ein Taxi zu nehmen. Natürlich nannte man es damals noch nicht Couchsurfing, dagegen war es eine der selbstverständlichsten Sachen der Welt. In einigen Kulturen war es wohl üblicher als in anderen. Dabei muss man den Begriff der Kultur sehr weitläufig definieren, denn es waren die Kulturen der Familie, der Glaubensgemeinschaften, der sonst noch was, die hier eine Rolle spielten und dies tun sie heute noch. Darüber hinaus hat sich aber eine sehr internationale Kultur des Couchsurfings entwickelt, siehe dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Gastfreundschaftsnetzwerk. Diese neue Kultur ist mit Hilfe des Internets zustande gekommen und ich liebe sie.
Am liebsten würde ich jetzt schon endlich auf Weltreise gehen. Ja, ihr habt richtig gelesen: Schon, weil ich am liebsten keinen Tag länger warten will – endlich: Weil ich in meinem über 60jährigen Leben kaum gereist bin, dabei ist kaum natürlich auch relativ. Ich empfinde es auf jeden Fall als wenig, sehr wenig. Ich habe zwar in meinem Leben mehr oder weniger von den folgenden Ländern gesehen: Deutschland (Geburtsland und jetziger Wohnort), Schweden (Wahlheimat), Republik Irland (arbeitsbedingt) sowie Norwegen, Dänemark, Finnland, Niederlande, Belgien, Frankreich, Schweiz und Österreich (einen klitzekleinen Zipfel), Großbritannien und Italien. Die Reihenfolge ist übrigens ganz willkürlich gewählt. Allerdings habe ich bedeutend mehr von den Ländern gesehen, in denen ich gewohnt habe als von den anderen Ländern. Eins ist sicher: Es gibt sowohl in den genannten Ländern als auch im Rest der Welt noch so viel zu sehen und zu erleben sowie Kulturen zu entdecken. Alles kann ich gar nicht mehr schaffen, hoffe aber noch viele rüstige Jahre erleben zu dürfen um meine Wissensbegierde etwas zu stillen und mein Fernweh etwas mildern zu können.
Neues lernen zu dürfen ist für mich nämlich das höchste Kleinod. Fremde Länder sehen und erleben zu dürfen gehört dazu. Früher scheiterte dies oft am kleinen/leeren Geldbeutel, heute gibt es dazu aber früher ungeahnte Möglichkeiten. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Die Handwerker hatten ihre Zünfte und diese schickten die Gesellen – auf deren eigenen Kosten – auf die Walz. Ohne diese Wanderjahre war es den Gesellen nicht möglich, ihren Meister zu machen. Sie konnten nur in Herbergen übernachten. Diese Wandergesellen waren ausschließlich Männer. Gewandert wurde oft nur im eigenen Land, nur in gewissen Berufen ging man auch ins Ausland. Sprachbarrieren setzten aber Grenzen. Keine tolle Zeit für wissbegierige Frauen, falls man nicht eine der wenigen Herrscherinnen war, die sich diese Freiheit nehmen konnten, ich denke z. B. an Kristina von Schweden (1626 – 1689).
Seit dem 19. Jahrhundert gibt es die Möglichkeit als Au-Pair ins Ausland zu gehen. Am Anfang waren es Töchter aus gutem Haus, die meist in die Schweiz oder nach Frankreich zu einer Familie geschickt wurden, um dort Französisch zu erlernen und eine Einführung in den Haushalt zu erhalten. Im Gegenzug erteilten sie den Kindern Englisch- bzw. Deutschunterricht. Nach dem zweiten Weltkrieg war es auch für Frauen möglich aus beruflichen Gründen ins Ausland zu gehen, vorzugsweise in der Hotelbranche. Später kamen die Austauschprogramme für Schüler und Studenten hinzu. Um daran teilnehmen zu dürfen bedurfte es oft viel Glück und sehr gute Leistungen. Seit Jahrzehnten sind allerdings Auslandssemester für Studenten mehr und mehr selbstverständlich geworden.
Wenn man, wie ich, kurz nach dem 2. Weltkrieg geboren wurde und in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen ist, war es allerdings nicht so einfach, sich dem genannten Personenkreis einreihen zu können. Trotz Abitur habe ich kein gewöhnliches, sondern ein berufsbezogenes Studium bei einer Deutschen Behörde absolviert. Auslandssemester in diesem Rahmen gab es nicht. Gerne wäre ich Reisebürokauffrau geworden. Das haben aber meine Eltern unterbunden – damals war es noch so, denn dafür hätte ich kein Abitur gebraucht. So bin ich 1978 vom ganzen System ausgebrochen, habe meine Beamtenlaufbahn aufgegeben und bin nach Schweden ausgewandert. Ein halbes Jahr vorher habe ich meinen ersten richtigen Urlaub gemacht – also keine Reise mit den Eltern – und war in Skandinavien (Schweden, Nordfinnland, Norwegen und Dänemark). Ich hatte die wenigen Jahre zuvor, als ich es mir finanziell hätte erlauben können, Charterurlaub zu machen, zwar viel darüber nachgedacht und Broschüren (damals gab es noch kein Internet für Privatpersonen) angesehen und geträumt. Ich hätte aber allein fahren müssen und ich war in meiner Entwicklung noch nicht so weit, dass mich das gelockt hätte.
Inzwischen sehe ich die Vorteile des Urlaubs als Single. Denn als Single kann man leichter neue Bekanntschaften machen. So nahm ich 2010 an einer Reise für Singles nach Rom teil. Es war wunderbar. Wir haben uns in unserer Gruppe gut verstanden, aber das Beste war, dass wir nicht in einem Bus herumgefahren wurden, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhren oder zu Fuß gingen und somit näher heran an das eigentliche Geschehen kamen. Wir hatten auch genügend Gelegenheit auf eigene Faust unterwegs zu sein. Das war beinahe so gut wie Couchsurfing, denn eines hat gefehlt: Wir haben nicht eine einzige Wohnung von innen gesehen und nicht viel von der gegenwärtigen Lebensweise erfahren. Unsere Fremdenführerin hat uns erklärt, dass in Italien alle Begegnungen und Treffen auf der Straße stattfinden und auch in Rom “my home is my castle” gilt. Allerdings ist das nicht die ganze Wahrheit, denn es gibt auch “hosts” in Rom, die CS (Couchsurfer) entgegennehmen. Man sieht wieder einmal: Wo ein Wille ist, ist auch ein weg.
Jetzt komme ich endlich wieder zum eigentlichen Thema zurück. Couchsurfen ist ein Geben und ein Nehmen, denn ein Couchsurfer ist im allgemeinen auch ein Gastgeber. Bereits als Gastgeber kann man die unterschiedlichsten Kulturen kennenlernen. Man trifft immer auf weltoffene Menschen und nie, niemals auf Nazis. CS sind Menschen aller Altersgruppen und akzeptieren Gastgeber aller Altersgruppen ohne Frage nach Kultur, Geschlecht, Aussehen, Einkommen … Man hat die Möglichkeit im Voraus zu lernen, was man später im Gastland beachten sollte und die Sehnsucht, die Heimatländer der CS kennenzulernen wird angeheizt. Es ist die ideale Art der Völkerverständigung! Natürlich fällt es einem kulturbedingt manchmal leichter einen CS für kürzere oder längere Zeit bei sich aufzunehmen und manchmal geht es eben nicht ganz so gut. Aus meiner Erfahrung fallen aber keine bösen Worte, denn man behandelt einander trotz allem mit Respekt.
Ich bin seit diesem Frühjahr Mitglied in zwei Gastfreundschaftsnetzwerken und habe im Durchschnitt zwei bis drei CS per Monat. Ich habe während dieser Zeit neue Freunde von mehreren Ländern in Asien, von Brasilien, Ägypten und Haiti bekommen. In einigen Wochen werde ich selbst auf Reise gehen und bei Gastgebern dieser Netzwerke übernachten. Darauf freue ich mich riesig, denn es gibt mir zum Einen die finanzielle Voraussetzung die Reise unternehmen zu können, und zum Anderen die große Freude eine andere Kultur kennenzulernen und neue Freunde zu gewinnen. Ich hoffe, ihr wartet mit Vorfreude auf meinen Reisebericht. Wohin ich reise? Das erfahrt ihr erst, wenn ihr meinen Reisebericht lest. Den findet ihr als neue Seite mit dem Titel: Vienna.